17. Oktober
Heute hatte Remus zur Abwechslung mal gar keine Termine. Aber entspannen war trotzdem nicht.
Heute hatte ich nämlich Termine. Um 10.00 Uhr hatte ich für mich Physiotherapie, die sich tatsächlich als Massage rausgestellt hat. Das war sehr toll, aber auch ziemlich schmerzhaft, weil ich verdammt verspannt bin. Außerdem war ich ziemlich spät dran, da meine Lila heute wieder getrödelt und sich einmal eingepullert hat, so dass ich sie nochmal umziehen musste.
Als ich Heim kam war unsere Haushaltshilfe Gracilda schon da und hat geputzt, während mein Mann seinen Schreibtisch aufgeräumt hat. Also habe ich meinem schlafenden Prinzen Hallo gesagt und habe dann auch angefangen zu arbeiten. Zuerst habe ich Remus‘ Spielsachen im Wohnzimmer aussortiert und alles was er nicht beachtet und auch nie beachtet hat in einen großen Sack geschmissen um die Sachen verkaufen zu lassen. Aktuell fällt es mir leichter diese Entscheidungen zu treffen, da ich mir einfach sage, dass er daran kein Interesse hat und es nur Platz weg nimmt. Sachen die er geliebt hat werden selbstverständlich nicht weggegeben. Danach habe ich mich an den Papierkram und weitere Anrufe geschmissen.
- Anruf bei Frau Dr. Arash-Kaps: Sie hat Dr. Conrad noch nicht erreicht, versucht es aber nochmal
- Anruf bei Herrn Hoffmann vom Sanitätshaus wegen dem Pflegebett: Nicht erreicht
- Anruf von Frau Schmidt vom Palliativ-Team: Sie hatte folgende Informationen:
- Wir sind in der Versorgung aufgenommen.
- Das Palliativ-Team kommt nächste Woche Montag & Donnerstag.
- Sie haben uns einige Medikamente verschrieben, die uns unsere Apotheke liefern wird (Salbutamol-Tropfen und NACL zum Inhalieren, Scopoderm Pflaster zur Sekretverringerung [davon soll ich nach Lieferung direkt ein halbes hinter Remus‘ Ohr kleben], Buccolam für den Fall das Remus‘ starke langanhaltende Krämpfe bekommt, Cefuroxim was ein Breitbandantibiotika ist und Ibusaft für Fieber) Selbstverständlich sind die meisten Medikamente nur für den Notfall und alle sollen nur nach Absprache mit dem Palliativ-Team verabreicht werden, diese sind auch 24/7 erreichbar.
- Außerdem besorgen Sie für uns ein Inhalationsgerät damit Remus wenn nötig inhalieren kann.
- Wenn Remus tatsächlich im Schlaf verstirbt, muss auch kein Notarzt gerufen werden, da reicht es wenn wir das Palliativ-Team holen. (Diese Frage hat mir gestern meine Mutter gestellt, nachdem Sie auf der Arbeit schwer verunsichert wurde)
- Anruf bei Herrn Hoffmann vom Sanitätshaus wegen dem Pflegebett: Nicht erreicht
- Anruf bei Gericht, wegen Insolvenz-Fall meines verstorbenen Vaters: Nicht erreicht
- Anruf bei LBS wegen seit 3 Jahren falsch hinterlegten Daten, hier konnte heute nichts erreicht werden, da erst am 28.10. wieder die Datensätze telefonisch geändert werden dürfen, ist aber nur ein Anruf von 5 Minuten
- E-Mail von Frau Dr. Arash-Kaps: Dr. Conrad wurde erreicht, er freut sich, dass die Villa den Eingriff übernehmen kann.
Danach habe ich noch Sebastian geholfen und Remus gefüttert und ins Bett gebracht.
Als Gracilda fertig, Sebastians Schreibtisch aufgeräumt und Remus im Bett war haben wir uns auf die Couch gesetzt und auf den Bofrost* Mann gewartet, immerhin hatten wir mächtig Hunger, keine Lust einzukaufen und nichts mehr im Haus. Als er endlich da war und Sebastian seine riesen Bestellung im Gefrierfach verstaut hatte, haben wir dann unser Mittagessen gemacht und gegessen. Und dann war es auch schon Zeit Remus wieder aus dem Bett und Lila aus der Kita zu holen, heute sogar erst um 15:30 Uhr da Sebastian mich danach dann bei meiner Psychologin rausgeschmissen hat und mit den Kindern zu meiner Mutter den Hänger holen gefahren ist. (Den brauchen wir um den Müll zu entsorgen, der bei den Umbauarbeiten bei meiner Schwiegermutter angefallen ist. Dort wurde eine Wand umgebaut.)
Während meiner Gruppentherapie habe ich folgende Probleme von mir angesprochen:
- Ich werde von den Ärzten und Hospiz-Mitarbeitern angesprochen, was passiert wenn… Also im Prinzip ob wir Remus an lebenserhaltende Maschinen anschließen lassen wollen oder nicht. Das bringt mich sehr häufig auf den Gedanken, was passiert mit mir wenn er stirbt? Mein dann mit 1000%iger Sicherheit stattfindender Gefühlsausbruch wird mit Sicherheit in Gewalt gegen mich selbst enden. Ich kenne mich genug um zu wissen, dass es nicht so drastisch sein wird, dass ich meine Familie nicht mehr stützen kann, aber ich weiß auch, dass ich vermutlich mit keinem Skill der Welt diesen Drang Wiederstehen kann wenn mein Sohn stirbt.
- Ich habe oft das Gefühl, dass ich die ganze Hilfe und Unterstützung die mir von allen teil wird nicht verdiene. Das mir das nicht zusteht und das ich mich schämen sollte Geld anzunehmen. Hier zwinge ich mich dann, mich zu fragen ob ich einer Familie in meiner Situation das gleiche sagen würde, also ob ich sagen würde „Ihr solltet euch schämen Geld anzunehmen, es steht euch nicht zu, ihr solltet das alleine schaffen.“ Dann wird mir bewusst, dass ich das niemals tun würde und, dass ich anderen Familien es gönne und wünsche, dass sie diese Unterstützung erhalten, und dann kann ich mich überreden diese auch anzunehmen, aber es fällt mir sehr sehr sehr schwer. (Meinem Mann übrigens auch, aber wir geben uns mühe und halten uns auch immer vor Augen, dass es nicht wirklich für uns sondern für unsere Kinder ist, das macht es auch nochmal etwas leichter)
- Manchmal liege ich auf der Couch und Kuschel mit Remus und sehe unaufgeräumtes oder mir fällt ein, dass ich eigentlich mal was tun müsste. Dann geht der Krieg in meinem Kopf los: „Du faule Sau, jetzt leg den kleinen Prinz mal ab, der kann auch den Vögeln zugucken und du arbeite endlich mal was, hier sieht’s aus wie sau und zu essen fehlt auch“ „Nein hör nicht hin, du musst die Zeit mit Remus genießen, außerdem wollte er vorhin nicht weggelegt werden, guck er fühlt sich grad so wohl, lass die Arbeit Arbeit sein und genieß die Kuscheleinheiten“
Wie Ihr seht habe ich ein Problem mit meinem Selbstwertgefühl und ich arbeite auch stetig daran, dass es besser wird. Grade in unserer aktuellen Lage hol ich oft eine starke Persönlichkeit raus, die mehr Zielgerichtet ist und dementsprechend selbstbewusst Auftritt, aber das ist für mich sehr anstrengend. Vermutlich bin ich deswegen auch immer so müde innerlich.
Als ich dann nach der Therapie draußen im Regen stand und auf meine Familie gewartet habe, da Lila mich unbedingt abholen wollte, aber noch nicht in der Nähe war (sonst wäre ich die paar Straßen nach Hause gelaufen), habe ich mir nochmal darüber Gedanken gemacht, was ich gelernt habe und was mich aktuell so stark macht. Dabei ist mir dann aufgefallen, dass meine Ehe, meine Kinder, meine Familie, meine Freunde, mein Blog und die lieben Menschen von der Kita, den Stiftungen, Kliniken, Hospizen und allen anderen Vereinen und Praxen das ganze erst möglich machen. Was würde ich tun, wenn ich mit Remus ganz alleine wär? Wäre ich trotzdem stark genug das alles zu meistern? Ich glaube nicht. Das kann vermutlich niemand alleine durchmachen und ich hoffe auch das es niemand muss, dass hat keiner verdient. Ich höre sehr oft, dass es ja wohl nichts schlimmeres als sterbende Kinder gibt und ich stimme dem zu 95% zu. Aber ich finde, dass es nichts schlimmeres gibt als leidende Kinder. Terrorisierte, gequälte, misshandelte, schmerzleidende, hungernde Kinder sind das schlimmste, was es auf diesem Planeten gibt. Ja es ist ein schlimmes Schicksal, dass ich meinen kleinen Sohn verlieren werde, aber immerhin ist er zufrieden und gut gelaunt. Er quält sich nicht, er hat keine Schmerzen und fühlt sich wohl. Das ist das woran ich mich beiße, das ist der Grund warum ich trotz allem Lache und Kämpfe. Remus geht es super, er kennt es nicht anders, er ist zufrieden und freut sich seines Lebens.
Meine Herren! Entschuldigung, dass es Plötzlich so schwer wurde, dass wollte ich gar nicht, ich wollte eigentlich jetzt noch schreiben, dass ich wieder zuhause gemalt und noch mehr Papierkram erledigt habe, aber ich glaube ich belasse es jetzt hiermit, weil der letzte Absatz ziemlich schwer ist und euch vermutlich wieder stark mitnimmt.
Bitte nehmt es euch nicht so zu Herzen, es geht uns aktuell gut und Remus liegt im Bett und schläft selig. Gute Nacht.